Kompass – AntiRa – Newsletter Nr. 73 – Oktober/November 2018

 

+++ „Der Schönste Tag des Jahres“ - Über 30.000 bei We`ll Come United Parade - Demonstration für den alltäglichen Aufstand der Solidarität +++ Sagenhafte 240.000 in Berlin bei Unteilbar-Demo +++ 20.10. in Frankfurt: Demo gegen Mietenwahnsinn +++ 23.10. in Berlin: Pressekonferenz zu Oury Jalloh +++ 28.10 in Berlin und am 17.11. in Mainz: Vorbereitungstreffen zu "100 Jahre gegen Abschiebehaft" +++ 2.-4.11. in Berlin: kritnet Tagung (Un)Doing borders, u.a. mit Solidarity City Workshop +++ Aktion BürgerInnenAsyl - Kampagne für Schutzräume gegen Abschiebungen +++ Neue Video-Dokumentation gegen Abschiebungen nach Afghanistan +++ Mediterranea - Mare Ionio: Neues Rettungsschiff aus Italien im Einsatz im zentralen Mittelmeer +++ 4 Jahre Alarm Phone +++ Neues transnationales Webseitenprojekt: Missing at Borders +++ Pro Asyl Bericht zu Moria/Lesvos +++ Kriminalisierung Iuventa: Italien eröffnet strafrechtliche Untersuchung gegen RetterInnen +++ Protest gegen Repression in Riace/Italien +++ Harmanli 21/Bulgarien: The trial has started – solidarity is more important than ever! +++ Rückblick: 13.10. in Karlsruhe: Landesweite Demo gegen Rassismus +++ Ausblicke: 23. bis 25.11. in Stockholm: Konferenz der Transnational Social Strike Plattform; 1./2.12. in Hamburg: Nächstes Treffen We`ll Come United +++

Liebe Freundinnen und Freunde!

Ja, für uns war es „der schönster Tag des Jahres!“ Der Aufruf hatte nicht zu viel versprochen und die in einer beeindruckenden Vorab-Pressekonferenz angekündigte Zahl von 25.000 erhofften TeilnehmerInnen wurde noch getoppt. Wir waren in vielen Medien und haben vor allem uns selbst gezeigt, dass wir mehr sind als wir glauben. Über 30.000 Menschen haben sich am 29. September an der We`ll Come United-Parade beteiligt. Niemals zuvor gab es in Deutschland eine so große antirassistische Demonstration in dieser gemischten Zusammensetzung, mit selbstorganisierten Geflüchteten und MigrantInnen als den zentralen Stimmen, und mit diesen klaren Forderungen nach Bewegungsfreiheit, gegen alle Abschiebungen und für gleiche Rechte für Alle. Hunderte von Veranstaltungen und Besuchen in Refugee-Camps, das Ausschwärmen („Swarming“) schon beteiligter Gruppen, um neue MitstreiterInnen zu gewinnen, die K onferenz der „großen Koalition des Antirassismus“ im Mai in Göttingen, dann im Juli das We`ll Come United Sommercamp in Brandenburg: all diese Aktivitäten haben den Grundstein für das großartige „Signal von Hamburg“ gelegt. Und besonderen Dank und Lob an die unglaubliche Vorbereitung und Mobilisierungsdynamik der gesamten Hamburger Solidaritätsstrukturen. Wir bleiben geflasht!

Dass die Parade so groß und stark wurde, hat natürlich mit der gesamten Empörungsstimmung zu tun, die sich in den letzten Wochen weiter verbreitet hat (und aktuell - Stand 16.10. - mit dem Wahlausgang in Bayern sogar den Stuhl von Seehofer ins Wackeln bringt). Die Proteste von Seebrücken bleiben vielfältig und groß, in den „Wir sind mehr“- und „ausgehetzt"-Demonstrationen von Chemnitz bis Rostock nach München stellen sich Zehntausende gegen die rechte Hetz- und Pogrom-Stimmung. Zudem gibt es anhaltende Großdemos gegen neue Polizeigesetze und gegen den Mietenwahnsinn. Und nicht zuletzt den großartigen Erfolg im Hambacher Forst, der ohne die Hartnäckigkeit der ungehorsamen WaldbesetzerInnen nicht möglich gewesen wäre. Diese Stimmungen gipfelten nun am 13. Oktober in den sagenhaften 240.000 TeilnehmerInnen bei der Unteilbar-Demonstration in Berlin! „Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung!“ lautete der wohlklingende Titel, und es ist und bleibt umso bedauerlicher, dass aus dem Aufrufentwurf „das Recht zu kommen und zu bleiben“ gestrichen wurde. Seebrücken und We`ll Come United waren am 13.10. dennoch im gemeinsamen Block genau für diese Forderungen aktiv, und in den kommenden Wochen und Monaten besteht die große Herausforderung, die ganzen hoffnungsvollen Großmo-bilisierungen in einen „alltäglichen Aufstand der Solidarität“ zu übersetzen. Denn die Situation erscheint paradox: die antirassistische Protestbewegung ist zwar stärker denn je, doch die Verschärfungen der letzten Jahre wirken ungebremst. Die Abschiebemaschinerie läuft entsetzlich rund. Da Veränderungen auf der politischen Ebene zunächst nicht zu erwarten sind, stellt sich die Frage der alltäglichen, faktischen Blockierung des  Roll Back. Wie also die Rechte zu kommen und zu bleiben wieder aneignen, die absehbar nicht gewährt werden? Wie kann die Seenotrettung wieder gestärkt werden und wie lassen sich offene Häfen insbesondere in Italien oder Malta erkämpfen? Wie können wir es schaffen, dass in vielen Städten in Deutschland und Europa gemeinsam und gleichzeitig weiter Druck gemacht wird, dass Geflüchtete und Gerettete aus Südeuropa auch tatsächlich direkt aufgenommen werden? Wie können wir Konzepte für ein „Relocation from below“ entwickeln, die die Bedürfnisse der Betroffenen in den Mittelpunkt stellen? Und gleichzeitig ganz praktisch die "Underground Railroad der Migration“, also die Fluchthilfestrukturen nach und quer durch Europa, ausbauen? Wie können wir gegen den immer aggressiver und effektiver laufenden (Charter)Abschiebeterror intervenieren? Wie können Solidarity Cities und BürgerInnenasyl politisch-symbolisch wie auch praktisch in eine neue Offensive kommen? Der September und Oktober der Solidarität hat in den Mobilisierungen auf den Strassen bestens gefunkt. Jetzt kommt es darauf an, diesen Schwung in konkrete lokale Praktiken des zivilen Ungehorsams gegen das herrschende Grenzregime mitzunehmen. No border lasts forever!

Euer Kompass-Team