Kompass-Newsletter Nr. 78 - 05/2019

 

Alan Kurdi Rettung und für ein ziviles MRCC +++ Seit 2.5. Ausstellung in Berlin: Yallah – Über die Balkanroute +++ 10.5. in St. Gallen: Paul-Grüninger-Preis für Iuventa +++ 10.-12.5. in vielen Städten: Aktionstage zu 100 Jahren Abschiebehaft +++ 17.-19.5. in Hamburg: Solidarity City beim Recht auf Stadt Forum +++ 17.-19.5. in Leipzig: Sol City bei kritnet-Konferenz +++ 19.5. in sieben Städten: Demonstrationen für „Ein Europa für Alle“ +++ 23.5.-Petition: Bleiberecht statt Ausgrenzung +++ 25./26.5. in Brüssel: Noborderdays +++Mare Liberum wird am Auslaufen gehindert +++ Together we are Bremen +++ Text: Weiterfluchten durch EUropa - Solidarische Städte in Verbindung?! +++ Solidarity4All - Zeitung gegen Ausgrenzung und Rassismus +++ Rückblicke: Seehofer wegbassen in Berlin, Seebrücken Demo in Hannover +++ Ausblicke: 13./14. Juni in Berlin: Kongress „Sichere Häfen - Leinen los für kommunale Aufnahme“; 28.-30. Juni in München: Solidarity City Konferenz; 9.-14. Juli in der Nähe von Nantes/Frankreich: Transborder Summer Camp; ; 24. August: Großdemonstration in Sachsen; 31.8. in Büren: Grossdemo gegen 100 Jahre Abschiebehaft;

Liebe Freundinnen und Freunde!

Am 3. April rettete das auf Alan Kurdi umgetaufte Schiff von Sea Eye 64 Menschen aus einem Schlauchboot vor der libyschen Küste. Der Motor war ausgefallen und per Satellitentelefon alarmierten die Betroffenen zunächst das WatchTheMed Alarm Phone. Sie schickten dem Hotline-Projekt ihre GPS-Position. Diese sendeten das SOS weiter an die sogenannte Rettungsleitstelle der Libyschen Küstenwache und informierten zeitgleich auch Sea Eye. „Auf Grund der Übermittlung der Koordinaten konnte die ´Alan Kurdi` die Position innerhalb von einer Stunde erreichen. Das Rettungsboot wurde zu Wasser gelassen, um Kontakt herzustellen, die Situation zu überprüfen, die Menschen zu beruhigen und Rettungswesten zu verteilen, so dass ab diesem Zeitpunkt niemand ertrinkt, der vom Schlauchboot rutscht.“ (Sea Eye am 3.4.19). Während in den Wochen zuvor wie auch danach immer wieder Boote verschollen oder von libyschen Milizen abgefangen und in die Haftlager zurückgebracht wurden, zeigt das Beispiel der Alan Kurdi - wie im März schon bei Mare Jonio - dass Unterstützung für Geflüchtete und MigrantInnen auf See nicht nur weiter nötig sondern auch möglich ist. Am Abend des gleichen Tages twitterte das Alarm Phone: „Die letzten Tage im Central Med zeigen deutlich: die MRCCs (offizielle Rettungsleitstellen) in Rom, Valetta und Tripolis sind dysfunktional. Sie verweigern die Verantwortung, sie lassen Menschen auf See sterben oder führen systematische unrechtmäßige Rückführungen durch. Wir brauchen dringend ein ziviles MRCC, zu dem alle Rettungsorganisationen beitragen! Von der hohen See in die Städte! Gegen die tödlichen EU-Grenzen schaffen wir Korridore der Solidarität. Auf dem Weg zu einem zivilen MRCC & einem transnationalen Bündnis von sozialen Bewegungen & Stadtverwaltungen, das sich für offene Häfen & den Transfer der Geretteten in die gewünschten Städte einsetzt.“

Wichtig zu sehen: Nicht nur im westlichen Mittelmeer und in der Ägäis starten weiter permanent Boote und erreichen eigenständig die Küsten der EU. Auch in Lampedusa und Sizilien landeten in den letzten Wochen sog. Geisterboote aus Tunesien, Libyen und sogar der Türkei, die vorher von keiner Küstenwache oder Grenzschutz gesichtet wurden. Und die sich auch ohne jede zivile Unterstützung durchgeschlagen haben.

Dennoch: angesichts des mörderischen EU-Grenzregime braucht es eine eigenständige Rettungskoordination der Zivilgesellschaft, die vom Meer bis - auch das hat das Beispiel der Alan Kurdi erneut demonstriert - zur sicheren Hafenstadt reichen muss. Denn einmal mehr mussten die 64 Geretteten und die Besatzung des Schiffes zehn Tage auf See warten, bis sich die Vertreter mehrerer Regierungen in einem unwürdigen politischen Geschachere endlich auf eine Verteilung und damit Erstaufnahme der Geflüchteten in Malta einigen konnten.

Vor diesem Hintergrund haben zahlreiche NGOs Anfang April einen Offenen Brief an Merkel veröffentlicht und über 200 Bundestagsabgeordnete parteiübergreifend einen Osterappell gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung und für die Aufnahme der Geretteten unterzeichnet. Immer neue Appelle reichen aber offensichtlich nicht aus, um etwas zu ändern. Weitere Seebrücken-Mobilisierungen und Druckkampagnen sind und bleiben zentral und in den nächsten Wochen wird es darauf ankommen, dass die ersten der mittlerweile 53 Stadtverwaltungen oder BürgermeisterInnen, die sich zur Aufnahme von Geretteten bereit erklärt haben, dies auch um- und durchsetzen können. 

Leoluca Orlando, der Bürgermeister aus Palermo, war zur gleichen Zeit, als Alan Kurdi auf einen offenen Hafen wartete, zu einer Veranstaltung in Frankfurt eingeladen. Orlando bot öffentlich erneut an, die Geretteten sofort aufzunehmen und ermutigte Sea Eye mit dem Hinweis, dass „Italien nicht nur Salvini ist“, nach Sizilien zu kommen. Orlando hat in Frankfurt einmal mehr ein großartiges Plädoyer für das Recht auf Mobilität gehalten und das ganze System der „Aufenthaltstitel als neue Form von Sklaverei“ denunziert. Denn dieses System schafft Unfreiheiten und (Ausbeutungs)Abhängigkeiten, die aus einem konsequenten Menschenrechtsansatz heraus abzulehnen sind. Mutmachende Ansagen in schweren Zeiten!

„Dass sich trotz aller Bewegungen der letzten Monate an der grundsätzlichen politischen Situation in unserem Sinne nichts geändert und sogar vieles verschärft hat, ist uns ein Hinweis darauf, was noch bevorsteht. Europas autoritäre Regierungen haben recht deutlich zu verstehen gegeben, dass sie sich für die Rechte von Millionen Migrant*innen und für die Forderungen der sozialen Bewegungen einen feuchten Dreck interessieren und dass sie nicht zögern, ihre Politik durchzusetzen – und zwar gegen uns alle.“ So formuliert We`ll Come United eine Einschätzung zur aktuellen Situation. Und weiter: „Wir sind also mittendrin in einem Kampf um die Zukunft – um die Frage, in welcher Gesellschaft wir leben werden. Der Aufstand der Solidarität gegen den Rassismus von AfD, Nazis, Behörden und Europas Regierungen bleibt dabei unser Weg und unser Ziel. Dazu müssen wir damit weitermachen, womit wir begonnen haben: Neue soziale Koalitionen der Solidarität bauen. Und wir tun dies, indem wir das großartige Bild unserer Parade in Hamburg als ein Versprechen und einen Arbeitsauftrag an uns alle verstehen. Indem wir den symbolischen Akt einer bundesweiten Parade Wirklichkeit und Alltag werden lassen, in Städten und Kommunen.… Mut machen, Widerstandserfahrungen austauschen, Strukturen aufbauen. Und die Alltagskämpfe verdichten. Für eine Gesellschaft ohne Rassismus und Ausgrenzung. Für eine Gesellschaft, in der wir leben wollen!“

In diesem Sinne rufen wir dazu auf, sich am kommenden Wochenende an den vielfältigen Aktionen gegen die Abschiebeknäste zu beteiligen. Zudem wird es im Mai in Hamburg im Rahmen von Recht auf Stadt zu gleichermaßen strategischen wie praktischen Debatten des Netzwerks Solidarity City kommen. Und auch das Transborder Summer Camp im Juli in Frankreich steht ganz im Zeichen von Alltagskämpfen und transnationalen solidarischen Strukturen entlang aller Routen der Flucht und Migration.

Mit hartnäckigen Grüßen,   

die Kompass-Crew