Kompass-Newsletter Nr. 87 - 06/2020

 

Black lives matter +++ Hanau: 140 qm gegen das Vergessen +++ 14.06.: So geht soli­darisch - Unteilbar-Aktionstag +++ 17. bis 19.6. In Erfurt und von überall: Jugendliche ohne Grenzen mit Online-Aktionen zur Innenministerkonferenz +++ 20. Juni: From Sea to City - Online Konferenz und Kampagnenstart +++ 24.06. in Wiesba­den: Wegen Corona und überhaupt - Landesaufnahmeprogramm jetzt! +++ 15. bis 18.7. (in Planung): digitales transborder summer camp +++ Neue Netzwerk-Platt­form: trans-border.net +++ Broschüre zum Transborder Summer Camp +++ WatchT­heMed Alarm Phone Updates aus Central Med, Ägäis und Western Med +++ Deporta­tion Alarm: Facebook-Gruppe gegen Abschiebungen +++ Rückblicke: 8. Mai: Entnazi­fizierung jetzt; 23. Mai: Seebrücke Aktionen; 30. Mai: Transnational social strike mo­bilization for an European residence permit +++ Ausblicke: 25. bis 29. August in Leip­zig und online: Kongress Zukunft für Alle; 2. bis 5. September: Transnationale dezen­trale Aktionstage 5 Jahre nach dem March of Hope

LIEBE FREUNDINNEN UND FREUNDE!

Black lives matter! Nach dem brutalen Mord an George Floyd in Minneapolis wirkt die Pro­testwelle gegen rassistische Polizeigewalt aus den USA nach Europa und in die Welt und wie­der zurück. Unglaubliche 50.000 in Wien, sehr große Demos in vielen Städten Deutschlands - trotz der Warnungen und Einschränkungen wegen der Pandemie. Das hätte sich noch vor kurz­em niemand vorstellen können und demonstriert einmal mehr die Eigensinnigkeit und Eigendynamik sozialer Bewegungen. Und die spontane Mobilisierungsfähigkeit und breite Verankerung antirassistischer Kämpfe! Ob und wie sich diese neue Bewegung verstetigt, lässt sich schwerlich vorhersagen. Auch wenn der erneute Anlass bitter ist: dass es transnatio­nale Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt sind, die die Isolation der Corona-Krise aufbrechen, ist erstmal nur grossartig.

Wir wollten unseren Newsletter ursprünglich nochmal mit „Hanau“ beginnen, wo die Initiati­ve 19. Februar mittlerweile ihre neue Anlaufstelle mit einem bewegenden Videoclip eröff­net hat: https://19feb-hanau.org/2020/05/04/140qm/. Der Kurzfilm fängt in beeindrucken­der Weise die Gleichzeitigkeit von verzweifelter Traurigkeit und wütender Stärke ein, mit der die Angehörigen der Opfer des rassistischen Terroranschlags es in den letzten Wo­chen auch immer wieder in die Mainstream-Medien geschafft haben. Und es gab schnell eine Verbindung Richtung USA. Denn unlängst fragte uns sinngemäß eine Frau aus dem Umfeld der Opferfamilien: „In Amerika wurde ein Schwarzer ermordet und überall gibt es große De­monstrationen und Kämpfe. In Hanau wurden neun Menschen umgebracht und alles ist still. Brauchen wir nicht auch hier einen Aufstand?“

Ja, das ist verkürzt, denn die Liste der Toten rassistischer Polizeigewalt in den USA ist sehr lang und die Kämpfe dagegen haben eine noch längere, starke Geschichte. Und doch trifft diese neue Be­kannte, die sicher nie­mals etwas mit traditio­neller politischer Orga­nisierung zu tun hatte, einen richtigen Punkt. Die polarisierte Zeit und die rassistischen Zuspitzungen an den Außengrenzen wie in den Innenstädten Europas hätten längst eine ganze Serie sozialer Aufstände verdient.

Wir können und wollen die grundsätzlich defensive Situation nicht weg reden, auch nicht nach den letzten Tagen mit den beeindruckenden Mobilisierungen. Immer wieder hatten wir hier im Kompass das seit 2016 dominierende Roll Back thematisiert und gleichzeitig dennoch die oft stillen, alltäglichen Kämpfe in den Vordergrund gestellt. Mit Corona schien alles noch komplizierter geworden. Denn der Virus ist zweifellos eine unheimliche Bedrohung. Doch mit „Hygiene- und Abstandsregeln“ ließ sich schwerlich eine neue soziale Offensive vorstellen.

Hat Black lives matter die Situation bereits nachhaltig überholt? Jedenfalls haben die Mas­sendemonstrationen der letzten Tage die bleierne Zeit kräftig aufgemischt. Die schrägen Co­rona-Proteste von rechts mit ihren kruden Verschwörungstheorien müssen uns hoffentlich nicht weiter beschäftigen. Stattdessen gibt es frischen Schwung, neue progressive Möglich­keiten zu denken. Der Possibilismus ist back und hat gleich das Treffen von We`ll Come United geprägt. Über 40 AktivistInnen sind am letzten Wochenende erstmals wieder real in Berlin zusammengekommen und haben die Inspirationen von der Strasse sogleich aufgenom­men. Für Anfang September - genau fünf Jahre nach dem March of Hope und dem Durch­bruch auf der Balkanroute - sind die Planungen für dezentrale Aktionstage - von regional bis transnational - erneuert worden. Die unterschiedlichen Aspekte des alltäglichen und in­stitutionellen Rassismus und damit auch das gesamte Grenzregime sollen vom 2. bis 5.9.2020 mit vielfältigen Aktionen ins Visier genommen werden.

Wenn wir uns den Kalender oben ansehen, fallen einerseits die strategischen Konferenzen auf. Zum anderen die verschiedenen Bemühungen, die transnationale Netzwerkarbeit wei­ter zu entwickeln. Beides ist nötig und beides ist wichtig. Und beides muss sich maßgeblich auf die alltäglichen Kämpfe und den Auf- und Ausbau solidarischer Strukturen beziehen. In der kürzlich veröffentlichten Broschüre zum transborder summer camp wurde es nochmal so formuliert: „Angesichts von Ausnahmezustand und verstärkten nationalistischen Stimmun­gen scheinen unsere Kämpfe für Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte immer mehr in die Defensive zu geraten.... (Aber) rund um den Globus sind auch unzählige Initiativen auf dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe erwachsen. Sie schaffen ein Gefühl von übergreifender So­lidarität und bauen Strukturen außerhalb oder sogar gegen den von neoliberalen Regierun­gen vorgegebenen Rahmen auf. Bietet uns dies neue Möglichkeiten für emanzipatorische Kämpfe?... Keine Frage: Wir müssen uns innerhalb der Ambivalenzen der neuen Krise be­wegen, und wir werden unsere täglichen Kämpfe fortsetzen. Der Kampf um Bewegungsfrei­heit ist beides, eine Praxis und eine Vision - eine Praxis und eine Vision der transnationalen Solidarität während und nach COVID-19.“

In diesem Sinne,

Antirassistische Grüße vom Kompass-Team