Kompass-newsletter Nr. 109 - 11/2022

 

Seit 26.9. bis 10.11. in Berlin : Aktionstage gegen Abschiebeknast am Flughafen +++  Ab 4.11. in Berlin: Ausstellung „Three Doors“ zu Dessau und Hanau +++ 4.- 6.11. in Köln: Bundestreffen zu Kirchenasyl +++ 5. und 6.11. in Hamburg: Taufe von Sea Watch 5 +++ 9. und 10. Dezember in Genf: Protest und Demonstration vor dem Hauptsitz des UNHCR +++ Fluchthelfer:innen bei Report Mainz +++ Kampagne: Bleiberecht statt Chancenfalle +++ Zeitung von Afrique-Europe-Interact zu Togo +++ Zarzis: Such nach Wahrheit und Gerechtigkeit +++ 8 Jahre Alarm Phone +++ Rückblick: TAZ zu Melilla-Massaker

Liebe Freundinnen und Freunde

Das Worst-Case-Szenario für Italien ist eingetreten: mit Meloni eine Post-Faschistin als Regierungs-Chefin, im Verkehrsministerium Salvini u.a. mit der Hoheit über die Küstenwache, ein früherer Salvini-Untergebener als Innenminister. Nicht nur in Sachen Migration hätte es nicht schlimmer kommen können.

„Roms Gruselkabinett" (taz) hatte gerade angefangen, die Amtsgeschäfte zu übernehmen, da erreicht das Alarm Phone am Morgen des 25. Oktober ein Notruf, der in der Folge die italienische Küstenwache zu einem ihrer größten Rettungseinsätze der letzten Jahre zwingen wird. Denn das Boot, das aus dem libyschen Tobruk gestartet und südöstlich von Sizilien in Seenot geraten ist, hat 700 (!) Menschen an Bord. Und: der Anrufer gibt an, dass mit ihnen ein zweites Boot mit 600 Menschen unterwegs sei und sich ebenfalls in der Nähe befindet. Noch nie zuvor in seiner fast genau acht-jährigen Geschichte hatte das Alarm Phone ein SOS mit nahezu 1300 Menschen an die Küstenwachen weitergeleitet.

Umso interessanter erscheint, dass die italienischen Behörden - von einer knappen Presseinformation abgesehen - zu ihrem Grosseinsatz mit mindestens fünf Rettungsschiffen quasi nichts veröffentlichten. In den Medien fanden sich keine Fotos der überladenen Boote, kein überfüllter Hafen nach der Ankunft, nichts. Vielmehr wurden die - so letztlich die genaue Zahl - 1157 Geretteten sowie zwei Leichname stillschweigend auf verschiedene Häfen verteilt. Zwei NGO-Schiffe, die in der Nähe waren, wurden ausdrücklich angewiesen, sich von den zwei Booten fernzuhalten. Offensichtlich hatte die neue rechtsextreme Regierung höchstes Interesse, diese Rettung ohne Öffentlichkeit durchzuführen und keine weiteren Details nach außen dringen zu lassen.

In den kommenden Tagen und Wochen wird sich zeigen, ob Rettungsschiffen - wie schon 2018 unter Salvini - erneut das Anlaufen italienischer Häfen verweigert wird. Der Ankunft der Menschen, die aus Tobruk aufgebrochen waren, konnte die neue Regierung jedenfalls nichts entgegen setzen und es bleibt fraglich, ob und wie Meloni ihre Ankündigung einer „Seeblockade" gegen Geflüchtete und Migrant:innen umsetzen will.

In Berlin macht unterdessen Innenministerin Faeser wiederholt deutlich, dass sie bezüglich der Außengrenzen faktisch eine ganz ähnliche Politik wie Italien verfolgt. „Wir sind gemeinsam in der Verantwortung, illegale Einreisen zu stoppen, damit wir weiter den Menschen helfen können, die dringend unsere Unterstützung brauchen", so die Ministerin laut dpa. Faeser versucht damit, Hilfebedürftige aus der Ukraine gegen die „illegal Einreisenden" aus Syrien, Afghanistan, Eritrea oder anderen Herkunftsländern auszuspielen. Unlängst hatte sie zu einer Westbalkan-Konferenz nach Berlin eingeladen, um effektiver „die irreguläre Migration zu begrenzen", was angesichts der täglichen Realitäten nichts anderes bedeutet, als Push-Backs und weitere Menschenrechtsverletzungen im Balkan zu rechtfertigen.

Umso wichtiger, dass praktischer Widerstand gegen das brutalisierte Grenzregime es einmal mehr sogar in die Mainstream-Medien schafft. Ein Film-Team von Report Mainz hat unlängst die solidarische Fluchthilfe für eine Familie aus dem Irak über den Balkan begleitet und dokumentiert - mit juristischen Kommentaren, die die potentielle Kriminalisierung der Unterstützer:innen in Frage stellt.

Nach Rom und Berlin zum Abschluss ein Abstecher in die Hauptstadt der internationalen Organisationen: nach Genf. Hier befindet sich der Hauptsitz des UNHCR, der am 9. und 10. Dezember 2022 in einer zweitägigen Aktion belagert werden soll. „Vor einem Jahr protestierten Tausende von Geflüchteten über 100 Tage vor dem Büro des UNHCR in Tripolis: ein historischer Akt der Selbstorganisation unter härtesten Bedingungen." So beginnt der transnationale Aufruf zu den Protesttagen, der die Forderungen der „Refugees in Libya" in Europa verstärken, also lauter und sichtbarer machen soll. Alles sind eingeladen, sich dieser Mobilisierung nach Genf zum internationalen Tag der Menschenrechte anzuschließen.

Mit antirassistischen Grüßen,

das Kompass-Team