Kompass-newsletter Nr. 127 - 09/2024

Kurzbericht vom We`ll Come United-Summercamp +++ Nach Solingen… +++  13. bis 15. September in Chemnitz: Symposium Erinnern Versammeln +++ AKKA-Kampagne - First Aid Argumentation-Kit Krankenversicherung für alle! +++ Medico-Kampagne gegen Kriminalisierung der Migration +++ Widerstand gegen Bezahlkarten in Hamburg und München +++ Echoes 13; Hold tight! +++ Rund um den 6. Oktober: Dezentrale Aktionswoche gegen Frontex +++  11. Oktober: 10 Jahre Alarm Phone sowie neue Berichte zum zentralen und östlichen Mittelmeer  +++ 18./19. Oktober: von Tripolis nach Berlin - Event mit Refugees in Libya +++ Statistiken zu Dublin-Abschiebungen aus Deutschland 2023 +++  Rückblick: Preisverleihung Pro Asyl +++ Ausblick: Transborder Summer Camp III in 2025… 

Liebe Freundinnen und Freunde,

Erst der schreckliche Anschlag von Solingen und dessen krasse Instrumentalisierung im gesamten Main-Stream, dann die Wahlen in Thüringen und Sachsen mit dem - leider erwartbaren - zusätzlichen Rechtsruck: beidem folgt jetzt der nächste Überbietungswettbewerb bezüglich Diskriminierung von Geflüchteten, Abschiebungen und Grenzschließungen. Angstmache und Rassismen eskalieren auf einem neuen Level. 

Was tun? „Aufgeben ist keine Alternative“ war bereits im letzten Jahr ein Slogan, der seine Gültigkeit nicht mit den nochmals gesteigerten Hasstiraden und Abschottungsdiskursen verliert. Es erscheint als letzte, defensive Haltelinie für alle, die diese Wahl überhaupt haben oder es sich leisten können. Rund 30% der Bevölkerung in Germany wären potentiell von den um sich greifenden Ausgrenzungsphantasien betroffen. Gleichzeitig laufen die Anwerbeprogramme für benötigte Arbeitskräfte weiter und allen, die noch einen Rest Vernunft in sich tragen, dürfte klar sein, dass die Wirtschaft ohne „migrantische Arbeitskraft“ schnell zusammenbrechen würde. Insofern könnten die medialen Verunsicherungen und absurden „Notstands“Szenarien auch als kalkulierte „Strategien der Spannung“ gelesen werden. Rassismen und ethnische Spaltungen, Ungleichheiten und Hierarchien, Entrechtungen und Kriminalisierungen als Mittel zur Aufrechterhaltung eines ausbeuterischen Systems in der Vielfachkrise?

Also was tun? Wir machen weiter mit der Solidarität auf den Routen und kämpfen um jedes Boot. Wir streiten weiter für Bleiberecht und kämpfen gegen jede Abschiebung. Bewegungsfreiheit und gleiche Rechte für Alle bleiben unser Kompass. Der Brutalisierung des Grenzregime, der Normalisierung von unterlassener Hilfeleistung auf See und den Push- und Pullback-Praktiken an Land und auf See setzen wir transnational vernetzte Unterstützungsstrukturen entgegen, die den Autonomien der Flucht- und Migrationsbewegungen folgen. Basta!

Das Netzwerk Welcome to Europe besteht im September 2024 seit 15 Jahren. Das Alarm Phone wird im Oktober 2024 zehn Jahre alt, die zivile Seenotrettung im nächsten Jahr ebenfalls und sie ist, wie eine beeindruckende aktualisierte Graphik zeigt, jedenfalls nicht schwächer geworden. Alle diese Unterstützungsstrukturen arbeiten mit dem Ziel, sich überflüssig zu machen, wenn es safe passages und kein Visa-Regime mehr gebe. „Fähren statt Frontex“! Davon sind wir vielleicht weiter entfernt denn je, doch die Geschichte zeigt, dass es immer wieder auch überraschende positive Brüche und unerwartete Dynamiken von Kämpfen gibt. 

Wir haben in diesem Newsletter eine Statistik zu den Dublin-Abschiebungen in 2023 übernommen, die anschaulich demonstriert, wie dieses innereuropäische Abschiebesystem geschliffen wurde, und das zu allererst durch den Widerstand der Betroffenen. Auch wenn nach Solingen „Dublin“ neu in die Schlagzeilen geraten ist und nun aus allen möglichen Richtungen neue Diskriminierungen in Planung sind, gibt es nicht nur gute Gründe sondern viele gute Erfahrungen, um Sand ins Getriebe zu streuen und einzugreifen, diese Abschiebungen immer wieder und immer weiter zu blockieren.

Wir beenden das Intro mit einer beeindruckenden Szene aus Thüringen. In der Kleinstadt Waltershausen hatte eine Woche vor den Wahlen das Summercamp von Welcome United stattgefunden. Etwa 150 Menschen waren beteiligt, darunter Geflüchtete aus verschiedenen Lagern in Thüringen. Zum Beginn des Abschlussplenum ergriffen mehrere syrische Aktivisten das Wort, berichteten von ihren erfolgreichen Protesten, mit denen sie es im Juni 2024 geschafft hatten, das menschenunwürdige Erstaufnahmelager Hermsdorf zu schließen. Und wie sie - auch inspiriert durch die Workshops und Diskussionen auf dem Summercamp - ihre Vernetzung, ihre Selbstorganisierung und den Widerstand gegen Abschiebungen und Ausgrenzung in den nächsten Monaten vorantreiben wollen. Es war eine entschiedene und mutige Ansage, die uns gleichzeitig als die beste Antwort auf die Wahlergebnisse in Thüringen erscheint. 

Mit solidarischen Grüßen,

Das Kompass-Team