Kompass – AntiRa – Newsletter Nr. 59, Mai 2017

 

+++ Von der Seenotrettung bis zur Solidarischen Stadt… +++ 17.-21.5. in Köln: NSU Tribunal +++ 19.-21.5. in Ljubljana: Conference of Transnational Social Strike +++ 25./26.5. in Berlin: Flucht und Migration auf dem Kirchentag +++ 8./9.6. in Frankfurt: Weltoffene Städte - Räume einer anderen Globalisierung +++ 10.6. In Berlin: Demo gegen G20-Afrika-Partnerschaftskonferenz +++ 10.-14.6. in Dresden: JoG gegen IMK +++ 19.-25. Juni 2017 in Kassel: Documenta - 20 Jahre kein mensch ist illegal +++ 21.-25.6.: Move und BUKO in Lärz +++ Welcome to Italy Guide - neue Auflage +++ Rückblick: City Plaza Geburtstag in Athen +++ Ausblicke: 5.-8.7. in Hamburg: Gegen den G20 in Hamburg; 2.-16.9. überall & in Berlin: We`ll Come United; 8.-10.9. in Bielefeld: Refugee Konferenz mit We`ll Come United; 22.-24.9. in Berlin: Women* Breaking Borders - Konferenz von Women in Exile; 6.-8.10. in Leipzig: Konferenz zu Migration, Entwicklung, Ökologischer Krise +++

 

Liebe Freundinnen und Freunde!

Photo: Moonbird Airborne Operation / www.sea-watch.org, www.hpi.swiss
Photo: Moonbird Airborne Operation / www.sea-watch.org, www.hpi.swiss

„Am 12. April 2017 ist es gestartet. Ein Kleinflugzeug über dem zentralen Mittelmeer. Organisiert aus der Zivilgesellschaft. Über der tödlichsten Grenze der Welt. Gegen das Sterben auf See. Die UnterstützerInnen sind sich einig: ´Sichere Wege. Sofort!` Morgen könnte der tausendfache Tod beendet werden. Wenn die Menschen ein Flugzeug oder eine Fähre nach Europa nutzen könnten. Es ist eine rein politische Entscheidung.

Doch die Verantwortlichen in der EU und den Mitgliedstaaten weigern sich. Das Meer als tödlicher Festungsgraben. Dafür ist keine Technik und kein Militäreinsatz zu teuer. Oder Rückschieben und Festhalten in Lagern in Nordafrika. Dafür ist kein Deal zu schmutzig.

Mit Schiffen und einem Flugzeug stellen wir uns gegen die Normalisierung von Tod und Leid. Wann immer nötig. Den ganzen Sommer. Um zu sehen und zu retten. In einer Zone ohne Rechte. Für ein Europa des Willkommens.“

Diese Zeilen bringen kurz und knapp auf den Punkt, warum Sea Watch und die Humanitarian Pilots Initiative (HPI) mit Unterstützung weiterer Organisationen eine zivilgesellschaftliche Luftaufklärungsmission an Europas tödlicher Seegrenze gestartet haben. „Mehr als 100 Flüchtende auf einem sinkenden Schlauchboot konnten am Ostersonntag in letzter Minute gerettet werden, nachdem sie weitab jeglicher Rettungsschiffe von einem Aufklärungsflugzeug entdeckt wurden….“ Gleich in den ersten Tagen des Einsatzes hat sich die „Moonbird“ - so der Name des Kleinflugzeugs - bewährt - um zu sehen und zu retten!

https://sea-watch.org/zivile-luftaufklaerungsmission-an-europas-toedlicher-seegrenze-gestartet-sea-watch-und-humanitarian-pilots-initiative-verhindern-bootskatastrophe/

Am Osterwochenende 2017 spielte sich im zentralen Mittelmeer einer der größten Seenotrettungseinsätze der vergangenen Jahre ab: innerhalb von drei Tagen wurden mindestens 8.360 Menschen aus Seenot gerettet. Unter der Überschrift „Ein tödliches Rettungsvakuum“ hat das Projekt WatchTheMed Alarm Phone dokumentiert, „wie Europa das Sterben im Mittelmeer zur Abschreckung nutzt und gleichzeitig die zivilen Seenotrettungskräfte kriminalisiert“, siehe https://alarmphone.org/de/2017/04/21/ein-todliches-rettungsvakuum/

Es ist an Brutalität und Zynismus kaum noch zu überbieten: die Verantwortlichen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten sind es, die Flüchtenden jegliche legale Wege nach Europa versperren und sie dadurch erst zur lebensgefährlichen Fahrt über das Mittelmeer zwingen. Anschließend begrenzen sie bewusst die Anzahl an Rettungsschiffen in der Hoffnung, dass das Massensterben im Mittelmeer als Abschreckung dient. Es ist einzig dem unermüdlichen Einsatz zahlreicher Seenotrettungs-NGOs und AktivistInnen zu verdanken, dass an Ostern nicht erneute viele hundert Menschen ertrunken sind. „Doch trotz ihrer zahlreichen lebensrettenden Einsätze sind verschiedene NGOs und AktivistInnen in den letzten Monaten zum Opfer einer verabscheuungswürdigen Diffamierungskampagne geworden. Nicht nur Frontex, sondern auch verschiedene EU-Politiker und italienische Staatsanwälte warfen ihnen nicht nur vor, mit libyschen Schmugglern zu kooperieren und in kriminelle Aktivitäten involviert zu sein, sondern auch, dass sie es seien, die die Überfahrten über das Mittelmeer noch gefährlicher und tödlicher machen würden. Diese bodenlosen und zynischen Vorwürfe folgen der absurden Logik, dass der Tod von Flüchtenden auf hoher See eine abschreckende Wirkung auf andere Flüchtende ausüben und so zukünftige Überfahrten verhindern könne. So wird versucht, die unverzichtbare Arbeit der Seenotrettungs-NGOs zu diskreditieren und sie dazu zu zwingen, sich aus der Todeszone des zentralen Mittelmeeres zurückzuziehen.“

So wie es in den kommenden Monaten darum gehen wird, die zivile Seenotrettung an der EU-Außengrenze zu verteidigen und auszuweiten, so dringlich bleibt es, die Abschiebeoffensive hier im Innern zu stoppen oder zumindest soviel wie möglich Sand ins Getriebe zu streuen. Der Auf- und Ausbau von Schutzstrukturen ist vielerorts ein Thema, zusätzlich zu den Kirchenasylen - in erster Linie gegen die „Dublin-Rückweisungen“ - starten nun erste Initiativen für ein „Bürgerasyl“, um den Charter-Abschiebungen nach Afghanistan einen verstärkten politisch-praktischen Widerstand entgegenzusetzen. 

Initiative Bürgerasyl HanauDamit verbunden diskutieren mehr und mehr Gruppen an Konzepten der „Solidarischen Stadt“: Keine Abschiebungen, keine Kontrollen ("Dont Ask Dont Tell"), freier Zugang zu Bildung und sozialen Leistungen ("Acess without Fear“) sind drei Leitlinien, die aus den Sanctuary Cities in den USA und den Solidarity Cities in Kanada entwickelt wurden. Angesichts unterschiedlicher Bedingungen in Übersee lässt sich vieles nicht auf hier übertragen, doch die Erfahrungen sind wertvoll und regen an, hiesige kommunale Spielräume auszuloten und zu erweitern zu versuchen. Ein Medico Symposium zum gleichen Thema (am 8./9. Juni in Frankfurt, siehe unten) wird einen weiteren Raum der Debatte und der Vernetzung bieten. Und all diese Ansätze und Visionen der Solidarischen Stadt sollen schließlich auch in die kommende „große September-Mobilisierung“ einfließen! 

Dann - wie im letzten Kompass bereits erwähnt - haben sich zahlreiche Gruppen und Netzwerke zu gemeinsamen Aktionstagen verabredet. Am 2. September wird es dezentral losgehen, am 16. September, eine Woche vor den Bundestagswahlen, münden die Aktivitäten dann in eine große antirassistische Parade in der Hauptstadt. Spätestens zum Kirchentag Ende Mai in Berlin, auf dem Flucht und Migration ein zentrales Thema sein wird, soll die Mobilisierung mit ersten Materialien beginnen, im Juni und Juli (siehe unseren Kalender) finden sich dann viele weitere Gelegenheiten, diese neue Kampagne des „Get-Together“ kennenzulernen und einzusteigen.

In diesem Sinne auch von uns: „We`ll come United“

Die Kompass-Crew

 

P.S. in eigener Sache: Wir suchen dringend weitere Menschen, die uns beim zügigen Übersetzen des Newsletters in Englisch und Französisch helfen.